Mein Mann nervt mich nicht nur, er bringt mich auch manchmal zur Weißglut. Die meisten fragen sich in solchen Situationen, ob sie sich nicht besser trennen sollten?

„Es ist doch ein Zeichen dafür, dass etwas in unserer Beziehung nicht stimmt, oder?“

Falls es dir auch so geht, dass dich das Kauen deines Mannes an die Decke fahren lässt (und davon gehe ich aus, weil es normal ist, dass es Verhaltensweisen gibt, die uns nerven), dann lies weiter.

Wenn wir Irritationen dieser Art in einer Partnerschaft für bare Münze nehmen, fallen wir wahrscheinlich auf das vorherrschende kulturelle Denken herein, das besagt:

„Wenn du so genervt bist, bist du wahrscheinlich mit der falschen Person zusammen. In der wahren Liebe gibt es so etwas nicht. Wahre Liebe ist leicht und fröhlich.“

Vorausgesetzt, Du bist in einer guten, liebevollen Beziehung, halte ich es für normal auch mal genervt zu sein. Mich interessiert, was unter der Oberfläche liegt. Unter dem Symptom sozusagen.

Wenn du eine innere Abwehr, Genervtheit oder Unruhe spürst, dann frage ich, was steckt dahinter?

Oftmals ist das, was wir wahrnehmen ein Zeichen dafür, dass unser Innerstes Aufmerksamkeit braucht.

Unsere Gedanken, Gefühle und Reaktionen könnten mehr mit uns zu tun haben als mit dem kauenden Ehemann am Frühstückstisch. Lass uns gemeinsam schauen, was nach deiner Aufmerksamkeit ruft.

Was führt dazu, genervt zu sein von einem Menschen, den man liebt?

1 Deine Genervtheit ist ein Spiegelbild deiner hohen Ansprüche an dich selbst (aka Perfektionismus)

Wenn du hohe Erwartungen an dich hast, deinen eigenen Macken und Schwächen gegenüber intolerant bist und einen unrealistischen Maßstab an dich anlegst, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass du deine Art der Selbstbeurteilung auf andere, insbesondere auf deinen Partner überträgst.

Wenn dein Partner einen albernen Witz erzählt, den du einfach nicht lustig findest, fühlst du dich peinlich berührt. Du fragst dich sogar, wie du jemanden heiraten konntest, der über so eine Albernheit lachen kann.

Du fragst dich, warum er nicht reifer oder tiefsinniger sein kann. „Warum kann er seine lahmen Witze nicht für sich behalten?“ Du ziehst dich zurück, gehst eher auf Abstand, anstatt sich mit ihm darüber zu freuen, dass er seine Freude an dem Witz hat.

In dieser Szene steckt nicht nur deine eigene Art mit dir ins Gericht zu gehen.

Es könnte auch deine Neigung dahinterstecken, wichtig zu nehmen, was andere denken oder wichtig zu nehmen, wie etwas auf andere wirken könnte. Vielleicht hast du dich schon früh im Leben daran gewöhnt, dass man „reif/tiefsinnig“ sein muss, um gemocht zu werden. Dass ein Witz, das eigene Verhalten bei anderen „angesagt“ sein muss, so dass jeder, der nicht diesem Bild von dem entspricht, was aktuell angesagt ist oder auf Anerkennung im Außen stößt, an deinem tief verinnerlichten, wenn auch ungesunden Wertesystem kratzt.

Wenn du dir selber erlauben kannst, mehr zu „sein“ als zu „beweisen“, dann kannst du diese Erlaubnis auch anderen gegenüber leben. Jeder erzählt auch mal einen unspektakulären Witz und ist deshalb kein absoluter Langweiler.


2 Genervt zu sein, gehört zum menschlichen Dasein

Stelle dir einmal vor Du verbringst mit deiner besten Freundin oder Arbeitskollegin so viel Zeit, wie mit deinem Mann. Würdest du dich nach einer Weile dann nicht auch genervt fühlen? Natürlich würdest du das. Manchmal bist du doch auch von Fremden genervt, oder? Von deinem Nebensitzer im Flugzeug, der es einfach nicht lassen kann und sich ständig hin und her bewegt, sodass du kein Auge zudrücken kannst. Du wünschst dir, du könntest ihm etwas zuflößen, das ihn für mindestens zehn Stunden sediert.

Wenn du dich in einer intimen Beziehung befindest, setzt du dich selbst und die Paarbeziehung enorm unter Druck, weil du dir unrealistische Erwartungen auferlegst.

Wenn du generell eher empfindsam bist. Geräusche nicht ausblenden kannst, große Menschengruppen anstrengend findest, weil du jede Geste und Mimik anderer Menschen in dir aufsaugst, wie ein Schwamm, dann bist du auch in einer so intimen Beziehung von Gereiztheit oder Irritation nicht gefeit.

Dazu kommt dann allerdings auch noch der Druck, den du dir auferlegst. Du bist ein empathischer Mensch und möchtest immer verständnisvoll und liebevoll mit deinem Partner umgehen. Für dich gibt es keinen Raum für Gereiztheit in der Liebe. Das fühlt sich total falsch an.

Es ist eine Herkulesaufgabe zu lernen, in solchen Situationen ruhig zu bleiben. Wenn sich innerlich alles nach einem überlaufenden Suppentopf anfühlt und der Ausbruch so real ist, wie meine Finger an meiner Hand. Je weniger Kraft du in diese Situationen investierst, je einfacher wird es ruhig zu bleiben.

Am besten wäre es natürlich eine hohe Mauer hochziehen zu können, um die eigene Toleranz in solchen Situationen zu erhöhen. Aber das geht nicht über Nacht, besonders, wenn du hochsensibel bist.

Also sei bitte gut zu dir. Manchmal reicht es auch zu erkennen, was da gerade passiert um den Knoten zu lösen. Das leistet hoffentlich dieser Beitrag für dich (und mich).

3 Irritation kann eine Manifestation von Angst sein

Gereiztheit ist eine Möglichkeit, um den Partner auf Abstand zu halten.

Es gibt Eigenschaften, die wir am Anfang einer Beziehung großartig finden. Wenn wir dann länger in der Beziehung, sind wir plötzlich von dem genervt, das uns mal gefallen hat. Das können die erwähnten Witze sein, die Stimmlage oder die Reaktion des Partners in bestimmten Situationen, mit der wir schon rechnen.

Selbst, wenn du nicht verstehst, warum du diese Schutzmauer errichtest, kannst du es dir bewusst machen. Sobald du diese Bewusstheit hast, kannst du die Kontrollversuche loslassen. Je mehr du beginnst deinen Partner sein zu lassen, kannst du auf ihn zugehen. Mit der Zeit kannst du vielleicht sogar mitlachen.

Umso mehr du die Angstmauern als Angstmauern erkennst, die du selber errichtet hast, umso mehr können sich diese von ganz alleine auflösen. Dann wirst du freier, weicher und lockerer, anstatt genervt zu sein.

4 Gereiztheit ist ein Zeichen dafür, dass du nicht genug Zeit für dich selbst hast

Deine Toleranzschwelle ist niedrig, wenn du gestresst bist. Dein Selbst braucht deine Aufmerksamkeit. Wenn du ausgeglichen bist, kann dir ein lahmer Witz oder das Kauen von Möhren nichts anhaben.

Versuche dir genügend Zeit für Stille, Reflektion, Einsamkeit und Austausch mit anderen zu nehmen. Du weißt am besten, was dir ein Gefühl von Ganzheit gibt. Von der Gewissheit ganz du selbst zu sein. Was dich erfüllt mit Kraft, Freude und Zuversicht.

Wenn du also das nächste Mal gereizt reagieren möchtest oder gereizt reagiert hast, nimm dir Zeit für dich. Jeder braucht mehr oder weniger Zeit alleine.

Besonders introvertierte oder hochsensible Menschen brauchen viel Zeit zum Träumen, Kreieren, Verdauen, Staunen. Daraus holen wir uns die Energie. Das ist unsere Kraftquelle. Vernachlässige sie nicht.

Wenn wir mit Neugierde hinschauen, anstatt uns selbst oder unsere Beziehung zu verurteilen, dann können wir die Botschaften sehen die dahinterstecken.

In diesem Falle: Nimm dir mehr Zeit für dich.

Schreib mir gerne, was du heute für dich tun wirst?

Ich freue mich über deinen Kommentar oder deine E-Mail.

Kategorien: Allgemein

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